7. April 2016

Stau, hohe Kosten, lange Lieferzeiten: Wer zahlt für die Kontrollen an den Binnengrenzen der EU?

Wir sind schon auf dem Brenner
Wir brennen schon darauf
Wir sind schon auf dem Brenner
Ja da kommt Freude auf“

Udo Jürgens besang es anno 1990 zur Fußball-WM, die allermeisten Deutschen kennen es: Alpenüberquerung über den Brennerpass auf dem Weg in den Süden, zum Wanderurlaub in den Dolomiten oder zu Dolce Vita am Mittelmeerstrand. Seit Jahrhunderten existiert diese wichtige Transitstrecke, bereits Goethe passierte den Brennerpass (natürlich!). Seit 1963 brettern Millionen Autos und Motorräder über die Autobahn. Und: Lkws. Vor allem Lkws.

Freier Warenverkehr auf der Europabrücke

Deshalb trifft die Botschaft der österreichischen Regierung, am Brennerpass wieder Grenzkontrollen einzuführen und diese gar militärisch zu unterstützen, die Im- und Exportwirtschaft in Mark und Bein. 30 Millionen Tonnen Waren queren jährlich die Alpen über den Brenner, gefahren von rund 2 Millionen Lkws. Zuwachs: 2 Prozent pro Jahr, selbst in den Jahren, als ganz Europa unter schwacher Konjunktur litt, reisten Äpfel aus Meran, Kleider aus Florenz, Wein aus Sizilien nach Norden. Und Schweinefleisch, Milch, chemische Erzeugnisse, Autos und Maschinen aus Deutschland nach Italien.

EU Güterverkehr
Jedes Jahr rollt mehr Schwerlastverkehr über den Brenner.

Nach Schließung der Balkan-Route erwartet man jedoch höhere Flüchtlingsströme über Italien nach Österreich. Der Terroranschlag am Brüsseler Flughafen tut sein übriges für das nachvollziehbare Bedürfnis nach mehr Sicherheit innerhalb Europas Grenzen. Es werde bereits gebaut, melden österreichische Medien, Container und Grenzzäune seien herangeschafft. Genaue Termine nennt Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner nicht, sichern wolle sie aber nicht nur den Brenner, sondern die komplette burgenländische Grenze. Dazu spreche sie mit ihrem deutschen Amtskollege Thomas de Maiziere über mögliche Routen der Flüchtlinge. Verkehrsminister Dobrindt stützt das Vorhaben der Österreicher und will „Personal“ schicken.

35 Euro pro Stunde Stau – und pro Unternehmer

Doch was bedeutet es, wenn allein die 6.650 Lkw*, die sich laut Verkehrsclub Österreich täglich auf den Weg nach Italien machen bzw. aus Italien kommen, kontrolliert werden sollen? An einer Transitstrecke, die ohnehin schon eine recht hohe Staugefahr mit sich bringt? Welche Folgen hat dies für Exporteure und Spediteure? Natürlich deutliche Mehrkosten! Schon jetzt beziffern Experten allein die Staus innerhalb Deutschlands mit einem jährlichen Schaden in Höhe von 25 Milliarden Euro. Jede einzelne Stunde im Stau schlägt für Unternehmer mit durchschnittlich 35 Euro zu Buche.

Am Brenner klagen alle – auch Urlauber und Anwohner – seit Jahren über die enorme Verkehrsbelastung und sehnen den im Bau befindlichen Tunnel herbei. Kommen zum hohen Verkehrsaufkommen jetzt auch noch kilometerlange Staus, wird die Strecke doppelt teuer. Denn, überflüssig zu erwähnen: Die im Stau „eingefahrenen“ Mehrkosten landen beim Verbraucher, und der erhält sogar noch mindere Qualität, denn weder Erdbeeren noch Schweinefleisch werden durch einen verlängerten Transport besser. Sind Sie als Verbraucher bereit, höhere Preise zu zahlen oder gar auf frische Waren zu verzichten?

Eine Aussetzung  von Schengen kostet – Wirtschaftswachstum in Europa

Es ist kaum vorstellbar, und doch hatten wir gerade in der Euregio Aachen in den letzten Monaten gleich zweimal einen leichten Vorgeschmack auf das, was nach Auflösung des Schengener Abkommens auf Europa wartet. Als nach den Anschlägen in Paris und Brüssel jeweils kurzfristig an der deutsch-belgischen Grenze Kontrollen eingeführt wurden, folgten kilometerlange Staus auf der Autobahn sowie auf den Ausweichstrecken.

Die IHK in Aachen warnte sofort vor den Auswirkungen auf die Wirtschaft: „Offene Binnengrenzen bilden das Rückgrat für ein wirtschaftlich starkes Europa“, schreibt IHK-Präsident Bert Wirtz in der aktuellen Ausgabe der Wirtschaftlichen Nachrichten. „Durch das Schengen-Abkommen sind wir auf lückenlose Lieferketten eingestellt. Auf Vereinfachung, Vertrauen, Fortschritt. Grenzkontrollen mit unwägbaren Wartezeiten gehören längst nicht mehr zu unserem Wesen.“ Wirtz fragt, wo die Wettbewerbsfähigkeit bleibt und weist auf zeitgemäße Herausforderungen wie just-in-time-Produktion und E-Commerce hin. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag schätze gar, dass die deutsche Wirtschaft bei einem Ende des Schengen-Abkommens Kosten in Höhe von zehn Milliarden Euro verkraften müsse.

Was ist (uns) Europa wert?

Jean-Claude Juncker brachte es kürzlich noch drastischer auf den Punkt: Wenn Waren und Menschen nicht mehr frei kursieren dürfen, warum sollte man dann noch eine gemeinsame Währung haben? Nach den Schuldenkrisen von Griechenland, Spanien oder Portugal kommt hier die nächste Herausforderung für Europa. Wieder werden die gemeinsam festgelegten Ideale und Regeln auf eine harte Probe gestellt. Womöglich auf eine viel härtere als es Grexit je sein konnte.

Und Udo Jürgens? Er sang: „Die Welt spielt sich frei und auch wir sind dabei.“ Aber auch: „Versiegelt das Tor, schiebt elf Riegel davor, denn wir kommen bestimmt.“

*gemessen an der A13, AS Gärberbach, ca. 35 Kilometer nördlich der österreichisch-italienischen Grenze. Hier entsteht eine Abweichung gegenüber der Messung der Mautstelle Brenner-Matrei, an der die tatsächlich den Brennerpass nutzenden Fahrzeuge gezählt werden.

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