Topmoderne Stadien für die Olympiabesucher, abgestellter Strom für die Bürger: der Bundesstaat Rio de Janeiro steht vor der Pleite.
451 Athleten in 36 Sportarten reisen in den kommenden Tagen und Wochen aus Deutschland nach Südamerika. Manche von ihnen direkt nach Rio de Janeiro, manche nehmen den Weg über ein Trainingslager, um sich an die Klimaverhältnisse anzupassen. Sie alle sind hochmotiviert, und sie alle erwarten vor Ort beste Bedingungen, die sie zu neuen persönlichen Bestleistungen führen sollen.
Eingefrorene Gehälter
Womit jedoch kaum einer der Sportler rechnet respektive sich belasten will: Die olympischen Sommerspiele 2016 sind für den Gastgeber, den Bundesstaat Rio de Janeiro und seine Bürger, eine nicht enden wollende Belastung. Die Hoffnung, dass ein sportliches Großereignis auch längerfristig Geld in die regionale Wirtschaft bringen könnte, wurde hier bereits zur Fußball WM vor zwei Jahren zerschlagen. Inzwischen bangt man um den Zuckerhut herum nur noch, es möge nicht in einem völligen finanziellen Debakel enden.
Der Bundesstaat Rio hat sich mit den Olympia-Investitionen völlig übernommen und steht vor dem Bankrott. Seit Monaten bereits werden die Angestellten des öffentlichen Dienstes nicht mehr oder nur noch in Raten bezahlt. Lehrer, Polizisten, Ärzte: Sie alle bekommen keine Gehälter. In der Folge sind Krankenhäuser geschlossen worden, ganze 70 Schulen im Stadtgebiet werden bestreikt. Polizisten – die gerade in den kommenden Wochen zur Wahrung der Sicherheit dringend benötigt werden – klagen zusätzlich über fehlendes Geld für Arbeitsmittel. Noch nicht einmal Toilettenpapier soll es ausreichend geben.
Notstand ausgerufen
Damit die Lage nicht schon völlig eskaliert, bevor das olympische Feuer in Rio angekommen ist, erklärte der Bundesstaat Mitte Juni den finanziellen Notstand. Damit erzwang man sich Hilfsgelder aus dem Staatshaushalt, ohne dass andere Bundesstaaten ebenfalls Anspruch auf diese außerordentliche Unterstützung erheben konnten.
Investiert hat der Staat Brasilien bereits rund zehn Milliarden Euro in Sportstätten und Infrastruktur. Eine neue Metrolinie zwischen den Strandvierteln Ipanema und Copacabana und dem Olympiaviertel beispielsweise soll den auch ohne Sportler, Funktionäre und Medien bereits überlasteten Straßenverkehr vor dem Zusammenbruch bewahren. Ausgerechnet sie droht aber zur Achillesferse zu werden, denn heute, keine drei Wochen vor dem ersten Wettkampf, fährt noch immer kein Zug. Ja, es sind noch nicht einmal alle Schienen verlegt, wegen unklarer Finanzierung gibt es immer wieder Baustopps.
Und es geht, wortwörtlich, noch schmutziger: In der Guanabara-Bucht, Austragungsort der Surf- und Segelwettbewerbe, schwimmen seit Jahren stinkender Müll und tote Tiere. Pro Sekunde gelangen weitere 18.000 Liter ungeklärte Abwässer hinein, dazu tonnenweise Müll täglich. An manchen Stellen ist das Wasser selbst nicht zu sehen. Es würde fünf Milliaren Euro kosten, die Bucht zu sanieren – ein weder finanziell noch zeitlich vor Olympia zu schaffender Aufwand. Also fischt man mit sogenannten Müllsammelschiffen behelfsmäßig händisch den Grobmüll heraus. Ein Umstand, den die Sportler schon seit Monaten als unzumutbar erklären, schließlich ist das Wasser nicht nur schmutzig, sondern vermutlich auch hochgiftig.
Rettender Staatshaushalt?
Bevor nun alles aus dem Ruder läuft, muss der Staat eingreifen – soviel steht fest. Dabei sind dessen Kennziffern alles andere als rosig: Die seit Jahren niedrigen Ölpreise sowie die nun sinkende Nachfrage aus China schröpfen Einnahmequellen. Korruption und Steuerhinterziehung kosten weitere Millionen. Das Land ächzt unter einer Rezession, das Bruttosozialprodukt verlor 3,8 Prozent und wegen mangelnder Infrastruktur und starren Arbeitsmarktregulierungen manövriert man sich um die Wettbewerbsfähigkeit. Während die Arbeitslosigkeit auf inzwischen 11 Prozent stieg, mangelt es gleichzeitig an höherqualifizierten Kräften.
Soziale Absicherung gibt es kaum, und sie wird unter dem seit Mai 2016 eingesetzten Interimspräsident Michel Temer sogar weiter beschnitten. Ausbleibende Gehälter, niedrige Reallöhne und Inflation verringern nicht nur die Konsumbereitschaft der Brasilianer, sie lassen immer mehr von ihnen schlichtweg in die Armut rutschen. Auch Ärzte und Lehrer, die seit Monaten kein Geld mehr bekommen, können irgendwann ihre Stromrechnung nicht mehr zahlen – und sitzen fortan im Dunkeln. Und wie erklärt man Schülern, dass das Milliarden in Olympia fließen, aber keines in ihre Ausbildung, ihre Schule, ihre Lehrer? In ihre Zukunft?
Und nach Olympia?
Von der Fußballweltmeisterschaft ebenso wie von Olympia profitieren sollte der Tourismus. Sich einem weltweiten Publikum präsentieren und Lust auf Reisen an den Zuckerhut machen: Das sollten die Großereignisse bringen. Für das Jahr 2014 konnte man dann auch Rekorde vermelden, 6,4 Millionen ausländische Touristen sind nach Brasilien gereist. Halten konnte man diese Zahl im darauffolgenden Jahr nicht mehr: Stadien und Unterkünfte blieben reihenweise leer, verursachten gar ein Defizit. Da muss man jetzt schon fürchten, was nach der Abreise des internationalen Sportlerzirkus‘ mit all den für Olympia erneut erweiterten und errichteten Hotels passiert.
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