Der Einzelhandel sieht sich einer andauernden Belastungsprobe ausgesetzt. Sein größter Feind bleibt die Digitalisierung – bei sinkenden Einnahmen.
Für 10.000 der knapp 160.000 Macy’s-Mitarbeiter halfen alle guten Neujahrswünsche nichts. Sie mussten Anfang Januar ihre Kündigung in Empfang nehmen. Nach einem verhagelten Weihnachtsgeschäft zog das US-amerikanische Warenhaus die Reißleine. Schon im vergangenen Sommer verkündete man außerdem die Schließung von 100 Filialen. Jährlich 550 Millionen Dollar sollen so eingespart werden.
Schwäbische Hausfrau oder investierfreudiger Entrepreneur?
Besonders neu ist sie nicht, die Reaktion zumeist traditioneller Unternehmen auf schrumpfende Umsätze: Sparen, sparen, sparen. Dabei war das Weihnachtsgeschäft „bloß“ der Höhepunkt eines schon seit Jahren international vor sich gehenden Rückgangs im stationären Einzelhandel. Und der Schuldige ist längst gefunden, ebenfalls seit Jahren: Der Online-Handel, der allen Traditionshändlern sukzessive Marktanteile abnimmt. Amazon, Zalando, eBay.
Ist es unter dieser Voraussetzung aber nun der richtige Weg, Kosten zu sparen? Wird die Wettbewerbsfähigkeit erhöht, wenn Mitarbeiter entlassen werden? Gewinnt man Marktanteile zurück, wenn Filialen geschlossen werden?
Unter Umständen schon. Dann nämlich, wenn das gesparte Geld reinvestiert wird – in eine fundierte Digitalstrategie, und besonders in Technologie. Macy’s will das auch tun, mit 250 der eingesparten Millionen Dollar. Doch genügt das? Ganze 6,45 Milliarden Dollar setzte Amazon im Jahr 2015 als Investitionsvolumen ein, geschätzt 4,6 Milliarden davon zur Verbesserung von Technologie. Wird Macy‘s also mit einem Bruchteil davon wirklich etwas bewegen können?
Digital denken
Zu einem erfolgreichen Onlinegeschäft gehört schließlich mehr als nur ein Webshop, entscheidend ist das verinnerlichte disruptive Denken, über alle Unternehmensbereiche und letztlich auch über alle Verkaufskanäle. Viel zu lange ruhten sich insbesondere Warenhausketten – in den USA Macy’s, in Deutschland etwa Galeria Kaufhof oder Karstadt – auf ihren großen Namen aus. Wenn wir aber eines in den letzten Jahren gelernt haben: Größe hilft nicht. Matchentscheidend ist, wie beweglich ein Unternehmen ist. Wie flexibel es der Digitalisierung begegnet. Wie gut die Antworten sind, die es seinen Kunden bietet.
Dass sowohl Geld als auch die Bereitschaft, dieses auszugeben, im vergangenen unter den US-Bürgern vorhanden war, zeigt die mit 0,3 Prozent leicht gestiegene Summe an Konsumausgaben. Und etwa 4 Prozent mehr als in den Vorjahren habe man allein für Weihnachtsgeschenke ausgegeben. Doch während manche Onlineshops zweistellige Umsatzzuwächse verzeichneten, klagten Ladengeschäfte und Warenhäuser über Rückgänge – teilweise in, ja, zweistelliger Höhe.
Die Lage hierzulande
„Es gibt Amazon und danach lange Zeit nichts“, beschreibt etailment.de/Der Handel die Marktaufteilung der deutschen E-Commerce-Branche. In der Rangliste der Seitenaufrufe folgen Ebay und Ebay Kleinanzeigen auf Platz 2 und 3. Und dann? Otto.de. Der einstige Versandhändler ist ein Positivbeispiel dafür, wie ein Unternehmen seinen hohen Bekanntheitsgrad nutzen kann, ohne sich bloß darauf auszuruhen. Seit vielen Jahren ziehen die Hamburger im Online-Geschäft mit, entwickeln ihren Shop und sämtliche Marketingmaßnahmen auf der Höhe der Zeit und nah an den Bedürfnissen der (Online-)Kunden weiter. Die Zahlen geben Recht: Im Jahr 2015 – 20 Jahre nach „Öffnung“ des Webshops – freute man sich über zehn Prozent mehr Umsatz und 12 Prozent mehr Kunden.
Lebensmittel auf Bestellung
Nachdem sich bereits die Märkte für Bücher, Elektronik und Kleidung verkleinert, vergrößert, neu verteilt, mehr oder weniger brutal aufgelöst und wieder neu zusammengesetzt haben, ist aktuell der Lebensmitteleinzelhandel im Umbruch. Die seit vielen Jahren schwelende „Bedrohung“ durch Amazon Fresh, dem Online-Lieferservice für sämtliche Produkte des täglichen Bedarfs – von TK-Gemüse über Milch bis zu Toilettenpapier – wuchs 2016 zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz heran. Dazu gesellte sich mit dem Dash-Button eine gänzlich neu gedachte Bestell-Lösung, die Kunden ganz automatisch an Amazon bindet.
Eine Lösung musste her: Darauf reagierten Startups wie „Hello Fresh“, aber auch etablierte Supermarktketten wie REWE, Edeka oder gar Discounter wie Lidl. Auch die Bereitschaft der Kunden, diese Dienste zu nutzen, ist hierzulande gestiegen. Jeder vierte Online-Shopper habe schon Lebensmittel im Netz bestellt, rechnet der Branchenverband BITKOM in einer Studie vor. Noch bedeutender ist aber eine andere Zahl: Von den Befragten, die bislang noch keine Lebensmittel online gekauft haben, können sich 46 Prozent vorstellen, das künftig zu tun. Vorausgesetzt: Angebot, Preis, Liefer- und Zahlbedingungen stimmen.
Challenge accepted
Amazon ist Platzhirsch, das ist klar. Aber auch andere Händler haben längst ihre Hausaufgaben gemacht. Tchibo.de, Mediamarkt.de, Thomann.de, notebooksbilliger.de, die zur Otto Group gehörenden bonprix.de und mytoys.de sowie einige andere mehr dürfen sich Jahr für Jahr über Zuwächse freuen.
Dass aber noch immer jemand glaubt, Onlineshopping ist was für Bleichgesichter, die keine Lust auf echte Menschen in echten Läden haben, ist nun statistisch ausgeschlossen: 96 Prozent der von Bitkom Befragten gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten etwas im Internet gekauft oder gebucht zu haben. Ausgegeben haben die Deutschen dabei durchschnittlich 1.280 Euro. Kein schlechtes Potenzial, wenn man diese Summe auf die gesamte Bevölkerung hochrechnet.
Welcher Händler kann es sich also leisten, auf diesen Umsatz zu verzichten?
Eigentlich keiner. Aber: Viele Unternehmer, gerade im Einzelhandel, haben kein Geld, um in den Online-Handel zu investieren. Gerade in den letzten Jahren haben sie immer wieder auf eine stabilere oder gar positive Entwicklung der Einzelhandelsumsätze gehofft. Dabei haben einige sämtliche Reserven aufgebraucht und sind nun schlicht mehr in der Lage, große Gelder für einen neuen Vertriebsweg aufzubringen.
Unter Druck ist nun der gesamte Einzelhandel. Schon länger beobachten wir steigende Risiken in der Kreditversicherung – insbesondere im Textileinzelhandel. Ein ganz aktuelles Beispiel ist die westfälische Modekette Gerry Weber, deren „operatives Konzernergebnis von rund 79 auf 13 bis 14 Millionen Euro nach vorläufigen Zahlen“ (Handelsblatt) rutschte. Euler Hermes titelte eine entsprechende Marktanalyse mit „Am seidenen Faden„.
Unser Rat für Ihre Geschäfte mit dem Einzelhandel: Seien Sie auf der Hut. Prüfen Sie Ihren Kunden genau. Wir erwarten für 2017 deutlich steigende Insolvenzen im Einzelhandel. Sprechen Sie uns an, wir helfen Ihnen Ihr Risiko zu reduzieren bzw. abzusichern.
Stichwörter: Branchenrisiken, Discounter, Einzelhandel, Lebensmittel, Lebensmitteleinzelhandel, Supermarkt, Texilbranche, Textil