1. Oktober 2015

Deutschland, quo vadis?

Warum sich die Wohlstandsinsel Deutschland mobilisieren muss

Nur 6 Prozent Arbeitslose, mehr Kaufkraft, frühere Rente: Deutschland ist im Moment in einer Stimmung, die selten im Lande vorherrschte. Politik und Wirtschaft scheinen satt und zufrieden mit sich selbst. Man diskutiert über die korrekte Anrede von Hochschulprofessorinnen oder die Inneneinrichtung von Gefängnissen. Und die (seit vielen Jahren existierenden) Krisenherde der Welt werden erst relevant, wenn sie in Form von überfüllten Zügen an deutschen Bahnhöfen ankommen.

Stimmen unser Wohlstandsgefühl und unsere tiefe Überzeugung, hierzulande – etwa im Vergleich zu Griechenland – „alles richtig“ zu machen, aber mit der Wirklichkeit und den ökonomischen Daten überein?

Deutschland hat Geld …

Der Ist-Zustand klingt zunächst überzeugend: Um 1,8 Prozent wird die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr wachsen. Unser Staatshaushalt ist ganz nach Schäubles Plänen ausgeglichen, die Steuereinnahmen sprudeln. Und vor allem dank der enormen Exporterfolge der klassischen deutschen Industrien Automobil, Maschinen- und Anlagenbau sowie Chemie ist die Handelsbilanz im deutlich schwarzen Bereich. Die Finanzkrise haben wir mit einem erstaunlichen Tempo bewältigt – und geben uns gegenüber schwachen Ländern der EU als fordernder Partner.

Deutschland wettbewerbsfähig
Weniger Arbeitslose, mehr freie Stellen: Während sich die Politik über gute Zahlen freut, sucht die Wirtschaft händeringend Fachkräfte. Nicht in der Statistik enthalten sind ca. 800.000 Unterbeschäftigte, also unfreiwillig Teilzeitarbeitende, Kurzarbeiter oder Teilnehmer von beruflichen Wiedereingliederungsmaßnahmen.

Doch ist die Entwicklung, wie wir sie bis jetzt erlebten, in die Zukunft zu prolongieren? Daran gibt es derzeit erhebliche Zweifel. Denn unser jetziger Erfolg hängt an drei Faktoren:

  • Wir erleben einen schwachen Euro, der den Export natürlich beflügelt.
  • Die Rohstoffe sind billig wie nie. Dies überkompensiert den schwachen Euro mehr als genug.
  • Die Zinsen haben ein historisches Tief erreicht und werden sich in der nächsten Zeit nicht deutlich erhöhen lassen, da ansonsten die Firmenfinanzierungen und die Staatshaushalte der westlichen Länder wahrscheinlich im Laufe der Zeit kollabieren würden.

Diese drei Faktoren für sich genommen ermöglichen uns einerseits dieses andauernde Wirtschaftswunder.

Drehen sich allerdings diese Faktoren in Negative (und damit muss man natürlich jederzeit rechnen), müssten unsere Unternehmen bei stärkerem Euro Exporteinbußen, der Finanzminister mehr Zinsen und beispielsweise der Autofahrer höhere Benzinpreise in Kauf nehmen. Eine deutliche Delle in der wirtschaftlichen Entwicklung wäre die Folge.

Und dann gibt es neben diesen klar ersichtlichen Faktoren auch weitere Parameter, die uns zu denken geben sollten. Nämlich: Wie sorgen wir schon jetzt für unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft?

… investiert es aber nicht in die Zukunft

Beispiel: zu niedrige Bildungsausgaben. Etwa 5,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gibt Deutschland pro Jahr für Kindergärten, Schulen, Berufs- und Erwachsenenbildung aus. Damit liegen wir deutlich unter dem OECD Durchschnitt. Die Reform des Bildungssystems, das bekanntermaßen viel zu stark auf Aussieben fixiert ist und (für ein Land im Wohlstand!) viel zu viele Schulabbrecher produziert, ist nach vielen Jahren lauter Diskussion ebenfalls ins Stocken gekommen.

Deutschland wettbewerbsfähig
So viel – oder wenig – gab Deutschland 2011 im Vergleich mit anderen europäischen Ländern sowie den USA und Japan für Bildung aus. Passt dies zu einer exportstarken Nation, zu den Herausforderungen einer modernen Wissensgesellschaft? (Zahlen: Eurostat, 2015 liegen die Ausgaben nur geringfügig höher bei 5,3 Prozent)

Die Klagen der Unternehmer, schon jetzt kaum noch Fachkräfte zu finden, verhallen offensichtlich ungehört. Es fehlen vor allem Fachkräfte aus den sogenannten Mint-Fächern. Das macht besonders mittelständischen Firmen zu schaffen – die seit Jahrzehnten von der Politik als „Rückgrat der deutschen Wirtschaft“ gelobt, in dieser Frage aber allein gelassen werden. Die demographische Entwicklung verstärkt den Arbeitskräftemangel nur noch weiter und wird das Wachstum behindern. Durch Zuwanderung kann dies bestenfalls gelindert werden, aber auch da fehlt eine klare und verlässliche Ausrichtung – und diese braucht ein Unternehmer, um planen zu können.

Investieren muss ein Land nicht nur in seine Köpfe, sondern auch in die Infrastruktur. Allein die (im Gegensatz zu unseren Nachbarländern) grottige Qualität von Internetverbindungen lässt uns aber zweifeln, wie deutsche Unternehmen die digitale Transformation bewältigen sollen. Und den Unternehmen selbst scheint auch noch nicht vollständig klar, welche Konsequenzen die nächste Stufe der digitalen Revolution für sie haben wird.

Infrastruktur heißt auch: Verkehrskonzepte und Straßen- und Schienenbau, Energieversorgung, Wohnungsbau. Der zunehmenden Urbanisierung mit all ihren Problemen (Wohnungsmangel in den Städten vs. Verödung ganzer Landstriche ohne Schulen, Ärzte oder bedarfsgerechten Nahverkehr) steht die Politik aber ebenfalls konzeptlos gegenüber. Auch die Investionen in gewerbliche Produktionskapazitäten sinken nach wie vor.

Wir gefährden, dass Deutschland wettbewerbsfähig bleibt

Die Politik hat sich darauf festgelegt, statt Bürokratieabbau weitere Hürden für die Wirtschaft zu errichten. Jeder Betrieb kann davon sicherlich ein Lied singen. Zusätzlich hat die Bundesregierung mit der Rente mit 63 und anderen Annehmlichkeiten weitere Kosten für die Wirtschaft und die Bürger erfunden – deren Folgen belasten jedoch künftige Generationen in einem Ausmaß, das wir derzeit nur erahnen können.

An diesen Faktoren gemessen haben wir keinen Grund uns zurückzulehnen. Politik und Wirtschaft müssen in den nächsten Jahren deutlich daran arbeiten, das Land wettbewerbsfähig zu halten, ansonsten droht uns ein Abstieg in die Mittelkasse, was auch die EU in Gefahr bringen könnte.

„Alles in Deutschland richtet sich an den geburtenstarken Jahrgängen aus“, sagte Dr. Helge Matthiesen, Chefredakteur des Generalanzeigers Bonn gestern auf den Bonner Unternehmenstagen. Und das sollte uns zu denken geben: Die geburtenstarken Jahrgänge sind Anfang fünfzig und gehen in fünfzehn Jahren in Rente. Unser Land jedoch nicht.

Unser Fazit:

Derzeit geht es Deutschland gut, vielleicht sogar zu gut. Viele Risiken sind vorhanden, werden von Politik und Wirtschaft aber offensichtlich erst dann wahrgenommen, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Wie schnell sich die Risikolage ändern kann, sehen wir im Moment bei Volkswagen. Das deutsche Aushängeschild der Automobilindustrie ist über Nacht in den Fokus gerückt – mit unabschätzbaren Folgen.

Risikovorsorge ist besser, als später das Nachsehen zu haben. Sprechen Sie uns an.

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