18. Juli 2014

„Das goldene Zeitalter boomender Schwellenländer scheint zu Ende zu gehen“

In dieser Woche fand in Fortaleza/Brasilien das Gipfeltreffen der so genannten BRICS-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – statt. Zu diesem Anlass sprachen wir mit Christoph Witte, einem erfahrenen Länderrisiko-Analysten und Deutschlandchef des Versicherungshauses Credimundi über Wachstumsmärkte und Absicherungsmöglichkeiten für deutsche Exporteure.

Herr Witte, das Wirtschaftswachstum der BRICS-Staaten Brasilien, Indien und China war in den letzten Jahren enorm. Hat dies dazu beigetragen, dass Europa nicht in die Rezession schlitterte?

Für die Jahre 2012 bis 2013 trifft dies zu, ja. Die steigenden Exporte in die BRICS konnten insbesondere für Deutschland die schwache Nachfrage aus Südeuropa mehr als kompensieren. Momentan schwächt sich das Wirtschaftswachstum in den BRICS-Staaten aus unterschiedlichen Gründen ab.

Man las zuletzt vermehrt von einer gebremsten wirtschaftlichen Dynamik in diesen Staaten. Wie sehen Sie das?

Tatsächlich zeigen sich im Wirtschaftswachstum der BRICS-Staaten die verschiedenen Probleme dieser Länder:

China zeigt ein strukturell schwächeres Wachstum. Eine Ursache ist seine alternde Bevölkerung. Außerdem gewinnen Umweltschutz und Energiesparmaßnahmen an Bedeutung – der Staat kann und will das Wirtschaftswachstum weniger durch Investitionen in energieintensive Branchen (etwa Stahl) steuern. Außerdem ist die staatliche Wirtschaftspolitik in den letzten Jahren weniger expansiv.

Brasilien wird vom schwächeren Wachstum in China und den nicht mehr stark steigenden Rohstoffpreisen beeinflusst. Außerdem hat sich der Binnenkonsum abgeschwächt.

Russland wird von den politischen Spannungen mit dem Westen sowie stagnierenden Energiepreisen und der stagnierenden Ölproduktion beeinflusst. Gleichzeitig bleiben Strukturreformen aus.

Indien zeigt ebenfalls ein schwächeres Wachstum. Grund: Wegen des Reformstaus und Leistungsbilanzdefizits haben die Investoren Vertrauen verloren. In der Folge kommt es zu Kapitalabflüssen und steigenden Finanzierungskosten. Der Privatsektor investiert ebenfalls wegen des Reformstaus weniger, aber auch die unzureichende Infrastruktur wirkt sich negativ aus. Der neue Premierminister kann die derzeitige Aufbruchstimmung nutzen, um das Vertrauen der ausländischen Investoren zurück zu gewinnen, was dringend benötigte Impulse für die Wirtschaft geben würde.

Auch Südafrika wird vom schwächeren Wachstum in China und den nicht mehr steigenden Rohstoffpreisen negativ beeinflusst. Die industrielle Produktion leidet unter Energieausfällen sowie Streiks in verschiedenen Branchen (unter anderem der Minenarbeiter). Der Binnenverbrauch lässt nach, und die Wahlen im Mai haben zu Zurückhaltung bei den Investoren geführt.

Beim soeben stattgefundenen Gipfeltreffen der BRICS-Staaten in Brasilien beschloss man, eine eigene Bank sowie einen Währungsfonds zu gründen und mit bis zu 100 Milliarden Euro Einlagen zu füllen. Damit soll die Infrastruktur in den einzelnen Staaten gefördert werden. Eine erfolgsversprechende Initiative – oder eine Gefahr für die bestehende internationale Finanzarchitektur aus IWF und Weltbank?

Die „New Development Bank“ und das „Contingent Reserve Arrangement“ werden tatsächlich recht groß sein (50 Mrd. USD / 100 Mrd. USD), auch im Vergleich zu Weltbank und IWF. Jedoch ist nicht zu erwarten, dass diese beiden neuen Institutionen ab dem ersten Tag ihr gesamtes Stammkapital zur Kreditvergabe einsetzen.

Wichtig ist, inwiefern diese Institutionen tatsächlich anders arbeiten als Weltbank und IWF und ob sie ohne die Expertise der Bretton-Woods-Institutionen auskommen möchten. Gemäß den bislang bekannten Kriterien wird ein Land nur bis zu 30 Prozent seiner Quote leihen können. Die Auszahlung des restlichen Betrages ist vertraglich an ein vom IWF unterstütztes Programm gebunden.

Derweil richteten die Beobachter ihre Aufmerksamkeit auf weitere aufstrebende Länder. Die Handelszeitung berichtete etwa, Panama und der Kasachstan seien die wahren „Durchstarter“ der Weltwirtschaft.

Panama verfügt mit seiner geografischen Lage über einen Wettbewerbsvorteil, Kasachstan besitzt riesige Öl- und Gasvorkommen sowie weitere Bodenschätze. Politisch sind beide Länder relativ stabil.

Dennoch haben sie jeweils eigene Probleme. So hat Panama in den vergangenen Jahren recht hohe Leistungsbilanzdefizite aufgewiesen, und Kasachstan hat technische Probleme bei der Ölproduktion. Grundsätzlich ist aber zu erwarten, dass viele kleinere Schwellen- und Entwicklungsländer – wie eben Panama und Kasachstan – stärker wachsen werden als die großen BRICS.

Der Panamakanal gehört zu den wichtigsten Einnahmenquellen des kleinen Landes: 8.000 Menschen arbeiten an der so wichtigen Wasserstraße. Jedes fünfte Schiff weltweit ist zudem in Panama registriert. (Bild: Wikimedia Commons, Public Domain)

Wie könnten die europäische oder die deutsche Wirtschaft von diesen Ländern profitieren? Und, wichtige Frage: Wie steht es um deren Stabilität?

Panama und Kasachstan sind relativ kleine Volkswirtschaften, die für den deutschen Export bislang eher unbedeutend sind. Beide Länder investieren massiv in ihre Infrastruktur. Kasachstan bemüht sich außenpolitisch um gute Beziehungen zu Russland (Mitglied der Eurasischen Union), aber auch zu Europa und den USA. Innenpolitisch ist die Nachfolge von Präsident Nasarbajew nicht klar geregelt, und es gab Probleme mit der Abwertung der Währung.

Beide Länder leiden auch unter der so genannten Holländischen Krankheit und tun sich schwer, ausreichend Arbeitsplätze für Einheimische in einer wettbewerbsfähigen verarbeitenden Industrie oder einem exportorientierten Dienstleistungssektor zu schaffen.

Für die exportierenden Unternehmen in Deutschland ist aktuell vor allem eine Frage interessant: Steigen die Risiken in den BRICS-Staaten?

Aus unserer Sicht eindeutig ja: Das goldene Zeitalter boomender Schwellenländer scheint zu Ende zu gehen. Zwar werden die BRICS weiterhin stärker wachsen als beispielsweise Europa, sie werden auch weiterhin an Bedeutung gewinnen, aber das Wachstum und die Aufholjagd schwächen sich konjunkturell und strukturell bedingt ab.

Unter welchen Bedingungen kann ein Unternehmen für die BRICS-Staaten Versicherungsschutz erlangen?

Credimundi hat aktuell keine Einschränkungen. Voraussetzung ist der Abschluss einer Kreditversicherungspolice mit Andienungspflicht für einen nach objektiven Kriterien definierten Geschäftsbereich.

Sehen Sie bzw. Ihr Versicherungshaus weitere Länder mit einer soliden Konjunktur? Wie schätzen sie beispielsweise die afrikanischen Staaten ein?

Die allermeisten Staaten des afrikanischen Kontinents haben in den letzten Jahren ein sehr starkes Wirtschaftswachstum gezeigt. Diese Länder profitierten insbesondere von der steigenden (chinesischen) Nachfrage nach Rohstoffen und den steigenden Rohstoffpreisen. Sie haben eine durchschnittlich sehr junge Bevölkerung, die ihren steigenden Wohlstand gerne in langlebige Konsumgüter sowie in Wohnraum investiert. Weiterhin investieren einige Staaten verstärkt in die Infrastruktur.

Die politischen Risiken des Kontinents haben sich in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren erheblich verbessert. Grund hierfür sind insbesondere der Schuldenerlass (HIPC) und die verbesserten Terms of Trade (Preise für Exportgüter – z.B. Rohstoffe – stiegen relativ zu den Preisen für Importgüter, z.B. Konsumgüter aus China).

Einige Länder leiden derzeit unter den Folgen innenpolitischer Probleme und teils angespannter Beziehungen zur internationalen Gemeinschaft (wie Somalia, Simbabwe, Zentralafrikanische Republik, Nord- und Südsudan, Libyen). Andere Länder haben sich in den letzten Jahren zunehmend im Ausland finanziert (Ghana) und müssen diese privaten Auslandsschulden nun refinanzieren. Wieder andere Länder (Tansania, Mosambik u.a.) stehen vor der Herausforderung, die Einkünfte aus dem riesigen Rohstoffreichtum (heute und in Zukunft) bei weitverbreiteter Armut nachhaltig zu investieren.

Herr Witte, wir danken Ihnen sehr für diesen informativen Einblick.

Haben Sie Fragen oder Interesse an einer Absicherung? Wenden Sie sich gerne an Ihren VIA-Ansprechpartner.

Über Christoph Witte
Der gebürtige Bonner Christoph Witte stieg nach einer internationalen akademischen Ausbildung im Jahr 2001 als Analyst für volkswirtschaftliche Risiken in den Finanzbranche ein. 2004 begann seine Laufbahn beim belgischen Kreditversicherer Ducroire | Delcredere , seit 2009 ist er Direktor der neu gegründeten Niederlassung von Credimundi in Wiesbaden.

Über Credimundi
Credimundi (ehemals Ducroire | Delcredere SA.NV) bietet Unternehmen innerhalb der europäischen Union maßgeschneiderten Schutz vor politischen und wirtschaftlichen Risiken im Zusammenhang mit kurzfristigen Lieferantenkrediten und Handelsgeschäften. Neben der Unternehmenszentrale in Brüssel ist Credimundi mit Niederlassungen in London, Paris, Wiesbaden und Mailand vertreten. Als Teil der Credendo Group teilt Credimundi die Unternehmensphilosophie, mehr über die Risiken zu wissen und näher am Kunden zu sein.

Über die Credendo Group
Die Credendo Group (ehemals ONDD Gruppe) ist der neue Name einer europäischen Versicherungsgruppe, die auf dem gesamten Kontinent in allen Bereichen der Kreditversicherung tätig ist und mit ihren Produkten weltweiten Versicherungsschutz bietet. Zur Gruppe gehören Delcredere | Ducroire (mittel- und langfristige Versicherungen, ehemals ONDD), Credimundi (der neue Name für das kurzfristige Versicherungsgeschäft, ehemals Ducroire | Delcredere), KUPEG, INGO-ONDD, Garant und Trade Credit. Im Jahr 2012 versicherte die Credendo Group Handelstransaktionen im Wert von 40 Milliarden Euro und fakturierte Prämien in Höhe von 380 Millionen Euro.

Das Gespräch führten Heiko Walter und Corina Pahrmann.

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