21. Oktober 2019

„Made in Russia“ kein Heilsbringer

„Dann machen wir das eben selbst“, scheinen inzwischen die Regierungen und Wirtschaftsministerien vieler Ländern zu denken. Statt auf globalen Handel setzen sie auf ihre eigenen Märkte. Was sich – aus der Innenperspektive – geradezu selbstbewusst romantisch anhört, bringt aber mitnichten den gewünschten Erfolg. Das stellt aktuell auch Russland fest.

Fünf Jahre sind vergangen, seit Russland die Halbinsel Krim besetzte. Als direkte Folge brach der Tourismus im einstigen Top-Sommerurlaubsziel ein. Wegen der gekappten Fährverbindung von der Ukraine auf die Halbinsel erreichten schlichtweg zu wenig Touristen die Badeorte, die Zahl der Urlauber ging von rund sechs Millionen auf nur noch vier Millionen zurück. Erst seit dem Bau einer Brücke – eingeweiht im Mai 2018 – gibt es einen verlässlichen und belastbaren Landweg. Problem gelöst, und der Urlaub in der Autonomen Republik Krim damit eine überzeugende Option für die russischen Bürger? Nicht ganz. Zwar steigen die Touristenzahlen wieder an, rund 6,8 Millionen sollen 2018 wieder an die Strände von Jalta und Jewpatorija gereist sein. Dennoch entscheiden sich viele Russen aber nach wie vor für andere Urlaubsorte. In Griechenland, Bulgarien und der Türkei beispielsweise finden sie sowohl eine bessere Infrastruktur als auch günstigere Hotelpreise. Und für Urlauber aus anderen Ländern ist das Reiseziel schon wegen der ungeklärten juristischen Lage kaum eine Option.

Lassen sich Märkte abschotten?

Eine noch viel weitreichendere Folge der Krim-Annexion sind die von westlichen Ländern verhängten Wirtschaftssanktionen. Und ihre Gegenreaktion: Putin wollte (und will nach wie vor) die bislang importierten Güter im Inland herstellen lassen. Trotz einer Reihe von Initiativen – beispielsweise Steuersenkungen, Sonderwirtschaftszonen und Förderprogrammen – führte die „Made in Russia“-Strategie jedoch bislang nicht zu den gewünschten Ergebnissen, wie der Kreditversicherer Coface in einer aktuellen Pressemitteilung resümiert. Die inländisch hergestellten Produkte erreichen häufig nicht die gewünschte Qualität, haben aber höhere Preise. Diese wiederum müssen die Russen von ihren stagnierenden oder sogar sinkenden Einkommen zahlen.

Beispiel Landwirtschaft

Die Bereitschaft, Importe durch lokale Produktion zu ersetzen, hänge von vielen Faktoren ab, fasst Coface zusammen – und die seien nicht alle vorhanden. Im Agrar- und Ernährungssektor etwa erschwerte Russland die Einfuhr von Gütern aus Ländern, die ihrerseits Sanktionen gegen Russland verhängt hatten. „Die nachfolgenden Engpässe haben zu höheren Preisen geführt“, so Coface, „was die russischen Verbraucher von Importen zu lokal produzierten Produkten gelenkt hat.“ Es musste also mehr produziert werden, und die Versorgung mit Fleisch aus eigener Produktion konnte schließlich auch sichergestellt werden. Allerdings führe die teilweise geringere Qualität bestimmter lokaler Produkte dazu, dass die Verbraucher trotz höherer Preise zu Importen greifen. Wie beim Tourismus entscheiden die Verbraucher also selbst, wofür sie ihr Geld ausgeben – und wie sie sich gegen den Urlaub auf Krim entscheiden, entscheiden sich manche auch gegen russische Erzeugnisse.

Made in Russia: Tomaten und Gurken in der Auslage eines Supermarkts
Tomaten und Gurken im russischen Supermarkt: Sie kommen wegen der „Made in Russia“-Strategie inzwischen immer häufiger aus Gewächshäusern im Süden Russlands sowie aus der Türkei, Ägypten oder Marokko. Bild: CC-BY-SA Alexander Korchik, Wikimedia Commons.

Beispiel Computer und Smartphone

Auch im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) setzte Putin entsprechende Hebel an, die die inländischen Hersteller bevorzugen sollen. Der öffentliche Sektor ist verpflichtet, ausschließlich Computer-, Telekommunikations- und Haushaltsgeräte lokaler Hersteller zu nutzen. Nur, wenn es keine vergleichbaren Produkte gibt, darf importiert werden. Mit dem staatlichen Konzern Yandex gibt es auf dem russischen Markt zwar ein sehr mächtiges Äquivalent zu Amazon und Google – auch Cloud-Dienste und sogar eine Uber-Kopie ist integriert, und Google selbst spielt deshalb in Russland keine Rolle. Das Yandex-Smartphone aber, im Dezember 2018 weltweit vorgestellt, entpuppte sich wegen seiner veralteten Technologie jedoch als Verkaufsflop. Auch die Russen kaufen lieber Samsung und Huawei.

„Made in Russia“ führt in die Isolation

„Vorbehaltlich der Verfügbarkeit von Ressourcen, der Modernisierung von Produktionslinien und der Verbesserung des Geschäftsumfelds bleibt die Strategie ‚Made in Russia‘ kompliziert und ein langfristiges Engagement“, resümiert der Versicherer Coface. „Made in Russia“ trage noch lange nicht alle Früchte und erfordert eine tiefgreifende und langfristige Transformation der russischen Produktionsketten.

In einem ausführlichen Bericht stellte die NZZ kürzlich weitere Folgen von Putins Isolationspolitik fest – den Verlust von Einfluss in den ehemaligen Sowjetstaaten beispielsweise. Die wirtschaftlichen Bindungen zu Usbekistan, Kasachstan und Georgien haben an Verbindlichkeit verloren, statt nach Moskau blicke man dort inzwischen nach Peking. Der fehlende Austausch mit anderen Ländern führe in Russland wiederum zu fehlendem Know-how und Nachwuchsproblemen. Junge Menschen wandern verstärkt ab, bei einem geringen Durchschnittseinkommen wenig verwunderlich. Wie jedes Land ist Russland jedoch auf die Köpfe und Konsumenten im eigenen Land angewiesen.

Unser Fazit

Die Wettbewerbsfähigkeit geht bei Isolation schnell herunter, kann aber im Falle einer Kehrtwendung nur innerhalb von vielen Jahren wieder zurückgewonnen werden. Zudem lässt sich ein enormer Vertrauensverlust bei potenziellen Handelspartnern feststellen. Und die einheimische Bevölkerung? Nun, sie muss mit enorm sinkender Kaufkraft zurechtkommen.

Angesichts dieser Erfahrungen sollte für alle Wirtschaftsnationen mehr als fraglich sein, ob (und wem) eine Abschottungspolitik der Bevölkerung eines Landes wirklich nützt. Und dennoch müssen wir bei den USA eine ähnliche Strategie beobachten. Erst vor wenigen Tagen traten Einfuhrzölle auf europäische Produkte wie französischen Wein, italienischen Parmesan oder auch Aachener Printen in Kraft. Und die Autoindustrie wartet mit Sorge auf den 13. November, an dem der US-Präsident Trump seine Entscheidung zu weiteren Zöllen für Kraftfahrzeuge und Fahrzeugteile bekannt geben will. Wie auch immer sich die Handelskriege weltweit weiterentwickeln, eines ist klar: Unternehmen müssen wachsam bleiben, denn allzu häufig erscheinen sie weder sachlich durchdacht noch langfristig klug. Für niemanden.

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