20. Februar 2019

KNV-Pleite: Aufruhr im Land der Dichter und Denker

Vergangene Woche ging ein Beben durch den deutschen Buchhandel, das dessen Struktur für immer verändern und weitere Opfer fordern kann – und dennoch außerhalb der Branche kaum wahrgenommen wurde. Das Risiko Folgeinsolvenzen und Geschäftsaufgaben steigt.

Der Buchgroßhändler KNV – Koch, Neff und Volckmar – hat die Insolvenz beantragt. Bei einer Großpleite wie dieser möchten wir zuerst die Mitarbeiter erwähnen, die schließlich ganz persönlich betroffen sind: Rund 1.000 Angestellte sind es allein am Auslieferungslager in Erfurt, einige von ihnen waren aus Verbundenheit zu ihrem Arbeitgeber erst vor ein paar Jahren mit ihren Familien aus Stuttgart und Köln nach Thüringen gewechselt. Sie und 800 weitere Arbeitnehmer erhalten nun vorerst Insolvenzgeld – für drei Monate, was danach kommt, bleibt unbekannt.

Der Zwischenhändler als Speicher-Cloud der Buchhandlungen

Etwa 1.800 Mitarbeiter also – allein diese Zahl ist bedrückend. Dabei kann die Insolvenz noch viele weitere Unternehmen und Menschen in enorme Liquiditätsschwierigkeiten bringen, denn KNV hat eine Schlüsselrolle in der deutschen Buchbranche. Einerseits nehmen rund 20 Prozent der deutschen Verlage den Geschäftszweig der Verlagsauslieferung in Anspruch: Bei der Schwesterfirma „KNO VA“ lagern und kommissionieren sie ihre Bücher.

Andererseits ist KNV ein sogenanntes Barsortiment – und als solches bringt die Insolvenz nun alle Branchenbeteiligten in Gefahr. Als verlängerter Lagerraum kleiner wie großer Buchhandlungen sorgt ein Barsortiment dafür, dass nahezu jedes lieferbare Buch über Nacht beschafft werden kann. Landauf und landab. Sie brauchen das neue Wirtschaftslexikon, den neuen Eifelkrimi, die Biografie eines Politikers? Eine kurze Info an Ihren Buchhändler vor Ort genügt – und in aller Regel wird er ebenso schnell oder sogar schneller liefern können als der bekannte, omnipräsente Online-Händler. Diese enorme logistische Leistungsfähigkeit des deutschen Buchhandels ist weltweit einmalig.

Buchhandel KNV Insolvenz
Der deutsche Buchhandel: Was passiert mit den Branchenteilnehmern, wenn mit KNV eine Schlüsselfigur in die Insolvenz geht? Foto: VIA Delcredere GmbH

Und es sind KNV-Mitarbeiter, die Nacht für Nacht die in den Buchhandlungen bestellten Bücher in blaue Kunststoffwannen legen und diese in firmeneigenen Lkws bis 10 Uhr morgens nach Aachen und Dresden, ins Allgäu oder in die norddeutsche Tiefebene fahren. In der Buchbranche ist man darauf stolz: Ähnlich flink, autark und zuverlässig bekommen Sie in Deutschland nur noch Medikamente geliefert. Bücher haben im Land der Dichter und Denker offenbar eine ähnlich hohe Priorität wie Medizin, wer hört das nicht gern?

Systemrelevant, aber nicht systemschützend

Nun hieß es schnell, KNV sei systemrelevant. Es sei zu groß, zu bedeutend, als dass es verschwinden könne. Das mag sein. Seine Wettbewerber Libri und Umbreit haben tatsächlich nicht die Kapazitäten, das Geschäft von KNV in absehbarer Zeit auffangen zu können. 5.600 Buchhandlungen haben Verträge mit KNV, bei vielen ist es der Hauptlieferant. Umso größer die Sorge der Buchhändler, als sie am vergangenen Donnerstag von der Insolvenz erfuhren: Werden noch Bücher geliefert? Und wenn nicht: Wie soll man das den eigenen Kunden plausibel machen?

Seit Inbetriebnahme des neuen Lagers in Erfurt im Jahr 2015 kam es immer wieder zu Lieferschwierigkeiten und -verzögerungen. Erst im Weihnachtsgeschäft 2018 war der Frust erneut groß. Kleine Buchhandlungen, die über zu wenig Quadratmeter verfügen, um einerseits die schnell drehenden Umsatzgaranten der Bestsellerlisten ausreichend zu bevorraten und andererseits genügend Sortimentstiefe für ausgefallene Wünsche zu bieten, sind auf die Barsortimente angewiesen. Sie können Umsatzausfälle und unzufriedene Kunden nicht lange puffern. Die Liquidität fehlt sofort.

Exkurs: Die Buchbranche in Deutschland
Das Land Goethes und Schillers, das Land, in dem der Buchdruck erfunden wurde: Nirgends sonst auf der Welt wird dem Kulturgut Buch so viel Bedeutung beigemessen. Die Buchpreisbindung soll Preiskämpfe verhindern und das auskömmliche Betreiben von unabhängigen, inhabergeführten Buchhandlungen überall im Lande ermöglichen. Von jedem Buch, das in Deutschland oder in deutscher Sprache veröffentlicht wird, muss ein Exemplar kostenfrei an die Deutsche Nationalbibliothek abgegeben werden, sodass jeder Bürger die zumindest theoretische Chance erhält, es kostenfrei einzusehen. Es gibt ein großes Netz an kommunalen Bibliotheken, Leseförderung wird staatlich unterstützt. Die Zahl der Verlage pro Einwohner ist vergleichsweise hoch, die Zahl der Neuerscheinungen ebenfalls. Traditionell räumen sich die Branchenteilnehmer freundliche Rabatte, lange Zahlungsziele und noch längere Remissionsfristen ein. Verlagsangestellte und Buchhändler arbeiten gerne zusammen und feiern gleich zweimal jährlich Familientreffen auf den Buchmessen Leipzig und Frankfurt.

Doch die Luft ist in den vergangenen Jahren deutlich rauher geworden. Der Buchabsatz ging zurück, ihren Bedarf an spannenden Geschichten decken offenbar immer mehr Menschen nicht über Romane, sondern ihren Streaming-Anbieter. Zudem verlor der stationäre Buchhandel bereits Anfang der 2000er Jahre einen großen Teil der Umsätze an Amazon. Und es kam es zu einer Marktkonzentration: Viele unabhängige Buchhandlungen gehören inzwischen Ketten wie Thalia oder Hugendubel an. Zuletzt sorgte erst Anfang Januar die Nachricht für Aufregung, dass Thalia und die Mayersche Buchhandlung fusionieren. Geht die Branche weiter zurück, betrifft das auch Dienstleister wie die ohnehin gebeutelten Druckereien. Weitere Marktzahlen finden Sie hier.

Doch auch wenn erst einmal weiter Bücher an- und ausgeliefert werden: Die Insolvenz wird die Absätze des Buchhandels und Verlagswesens beeinflussen und den Beteiligten Liquidität entziehen. Die bereits bestehenden Außenstände KNVs gegenüber seinen Lieferanten, den Verlagen, sind da fast das kleinere Problem. Immerhin ließ der Insolvenzverwalter mitteilen, dass fakturierte Rechnungen innerhalb des Zahlungsziels beglichen werden sollen. (Wegen großzügiger Zahlungsziele von 60 bis 90  Tagen, die sich die Buchbranche zudem genehmigt, stammen die Außenstände übrigens auch aus dem Weihnachtsgeschäft, in dem ein enormer Teil des Jahresumsatzes hereingeholt wird.) Und: Hauptkonkurrent Libri bot kurzfristig an, seine Verbindlichkeiten gegenüber kleineren Verlagen sofort zu begleichen, um diesen wiederum liquide Mittel zu beschaffen.

Auf Kante genäht

Doch was passiert mit den Umsätzen der Zukunft, die die Verlage fest kalkuliert haben? Die nötig sind, um wiederum neue Titel zu entwickeln und zu produzieren? Man muss dazu wissen: Wir haben es mit einem Markt zu tun, dessen Produkte, für den Aufwand, den sie bedeuten, extrem niedrigpreisig sind. Im durchschnittlichen Ladenpreis von 14,95 € (2018, Börsenverein) vereinen sich die Kostenstellen unter anderem für Autorenhonorar, Lektorat, Herstellung, Vermarktung, Vertrieb, Lagerung und Logistik sowie auf Buchhandelsseite unter anderem für Personal und Ladenmiete. Auf der gesamten Wertschöpfungskette vom Schreibtisch eines Autoren bis in die Buchhandlung vor Ort sind sehr viele Köpfe und Hände notwendig, und wie bei allen kreativen Tätigkeiten sind Routinen und Workflows nicht auf allen Ebenen möglich.

Damit sich ein Buch rentiert, müssen höhere Stückzahlen über die Ladentische gehen. Und weil das je nach Produkt gar nicht möglich ist – oder was glauben Sie, wie viele Lyrikbände des jungen aufstrebenden Dichters wohl verkauft werden? – setzt man auf Querfinanzierung vermutlich umsatzschwacher Titel, die man der Vielfalt des Programms zuliebe verlegen will, mit Bestsellern. Oder hofft auf stabile Backlistverkäufe, den Long Tail – also darauf, dass sich die Druckauflage über mehrere Jahre hinweg abverkauft. Eine Hoffnung, die sich jedoch immer seltener erfüllt, seitdem sich die Halbwertszeit von Novitäten wegen steigender Ladenmieten in den Innenstädten sowie höheren Profitdrucks besonders innerhalb der großen Ketten verkürzt. Soll heißen: Buchhandlungen listen schneller aus und remittieren, sollte der Titel die Absatzerwartungen nicht erfüllen.

Gefahrenstufe Gelb

Kommt nun weniger Geld in die Kassen der Verlage, weil KNV während der Insolvenzphase vorsichtiger bestellt, beeinflusst das die Liquidität der Verlage unmittelbar. Sämtliche oben genannten Kostenstellen stünden zur Disposition. Hat die Branche weniger Geld zur Verfügung, geht dies auf Kosten der Vielfalt. Auf Kosten der kleinen Buchhandlungen, die auch in nicht-urbanen Räumen ein umfassendes Sortiment bieten können. Auf Kosten der Autoren, die sich Themen abseits der Spiegel-Bestseller widmen. Auf Kosten der Verlage, die sich bemühen, trotz erhöhten Handelsdrucks oder trotz veränderter Freizeitgewohnheiten ihrer Kunden ein vielseitiges Programm auf die Beine zu stellen. Und das, wo sie gerade erst das VG-Wort-Urteil mit seinen enormen Rückzahlungsverpflichtungen verdaut haben.

Das macht die KNV-Insolvenz zu einer Gefahr besonders für kleine Verlage und Buchhandlungen. Und mit ihnen auch für die Autoren und Bücher, die die Literaturnation Deutschland so herausragend und vielseitig machen. In helle Aufruhr geraten alle Branchenbeteiligten, wenn sie von den Gerüchten einer Übernahme des Barsortiments durch Amazon hören. Der große Gegner des stationären Buchhandels plötzlich mittendrin? Der Umsatzträger, der aber noch nicht einmal auf der größten Buchmesse der Welt, in Frankfurt, einen Stand hat? Der immer außerhalb der Branche agiert und bei jeder Gelegenheit deutlich macht, dass ihm nur das Wohl seines Kunden am Herzen liegt – nicht dass von Zulieferern und Branchenkollegen? Ob die Buchnation diese Übernahme zulässt? Daran ist wohl sehr zu zweifeln.

Zweifellos bleibt aber eines: Diese Branche ist eine Branche für Liebhaber, für Leidenschaftstäter, für Überzeugte, denen die Buchstaben mehr als die Zahlen am Herzen liegen. Rechnen können muss man dennoch, und die allermeisten Verlage und Buchhandlungen sind darin sogar sehr gut. Wie sonst können sie jahrzehntelang überleben und mehr noch: in jedem Jahr rund 80.000 neue Bücher allein auf dem deutschsprachigen Markt unterbringen.

Können sich auch kleinere Verlage und Buchhandlungen wegen Forderungsausfall absichern? In unserem nächsten Artikel stellen wir Ihnen Möglichkeiten vor. Und: Wir finden auch die richtige Lösung für Sie. Sprechen Sie uns an.

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