21. März 2016

„Aachen hat noch Potenzial“

In der vergangenen Woche sprachen wir an dieser Stelle mit Markus Krückemeier und Daniel Kirch darüber, wie der Seed Fonds Aachen Gründer unterstützt. Lesen Sie heute Teil 2 des Interviews.

Herr Kirch, mit der RWTH gibt es in Aachen schon traditionell wenig Angst vor Technik. Wie mutig sind die Aachener aber, wenn es ans Gründen geht?

Daniel Kirch: Eine interessante Frage. Was uns in Aachen aufgefallen ist: Technologie/Innovation und Gründen sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Ich habe selbst in Aachen studiert, und zwar Wirtschaftsingenieurwesen Fachrichtung Maschinenbau. Der große Teil meiner Kommilitonen, speziell die Maschinenbauer und E-Techniker, beschäftigen sich permanent mit Innovation und Technologie. Sie haben aber kaum das Bestreben, eine eigene Firma zu gründen.

Markus Krückemeier: Das liegt natürlich auch daran, dass die Industrie in Deutschland in diesen Branchen sehr stark ist. Wenn BMW, Audi, Siemens oder Bosch ein attraktives Angebot machen, mit 37-Stunden-Woche, Tariflohn und Urlaubsgeld, überlegen es sich die Absolventen natürlich zweimal, ob sie sich stattdessen ihrer Niedriglohngründung widmen sollen. Das heißt, die starke Industrie ist hier Wettbewerber zur Startup-Kultur.

Das betrifft aber nicht alle Branchen, eine Ausnahme ist beispielsweise die Medizintechnik. Die Medizin- und Pharmabranche kauft viel stärker innovative Technologien und komplette Unternehmen ein, weil die eigene Forschung in diesem Feld riskanter ist. Das wiederum bringt viel mehr Anreize für Medizintechniker, es mit einer eigenen Geschäftsidee zu versuchen – möglicherweise mit dem direkten Ziel, sich später kaufen zu lassen.

Die meisten Ingenieure dagegen streben häufiger eine Karriere in der Industrie an.

Ist nicht auch ursächlich, dass man als Maschinen- und Anlagenbauer weit mehr Investitionsvolumen benötigt? Für eine Softwarefirma dagegen reicht ja die obligatorische Garage mit ein paar Rechnern …

Markus Krückemeier: Das stimmt. Die initialen Aufwendungen sind bei technischen Produktentwicklungen sehr hoch, in der Medizintechnik allerdings auch und trotzdem gibt es hier mehr Entrepreneurial Spirit. Aber klar: Wer ein Softwarehaus gründen will, kann mit einem Laptop im Coworking Space beginnen. Gerade im Bereich IT/Wirtschaft sehe ich in Aachen einige Bewegung, unterstützt durch Gründerzentrum und einen IT-Inkubator. Im Hauptstandbein der RWTH, Ingenieurwesen, gibt es aber kurioserweise recht wenig Gründungsbereitschaft.

Die Innovationen, die es dort gibt, entstehen in den etablierten Unternehmen.  

Markus Krückemeier: Genau, diese fließen eher von der Wissenschaft in die Industrie, als dass neu gegründet wird.

Eine Ursache ist möglicherweise, dass wir in den Schulen und Hochschulen recht wenig aufs Gründen vorbereiten. All unsere Berufsvorbereitung in den Schulen ist darauf ausgerichtet, einen bereits existierenden, klar umschriebenen Beruf zu ergreifen und sich damit dann in ein Unternehmen, in ein bestehendes Team zu integrieren. Sehen Sie da noch Nachholbedarf?

Daniel Kirch: Das allgemeine Wirtschaftsverständnis kommt in der Schule noch zu kurz. Wie funktioniert eine Firma, was sind Umsätze, was ist Gewinn? Diese Fragen habe ich in der Schule nie behandelt. Aber man muss natürlich wiederum aufpassen, dass der Schulstoff nicht völlig kommerzialisiert wird. Es gibt noch andere Lerninhalte, musische und kreative Fächer, die dafür nicht unter den Tisch fallen dürfen.

Wenn ich mich an meine Schulzeit zurückerinnere, dann gab es – abseits von den normalen Fächern – ein Projekt, innerhalb dessen wir eine Schülerfirma gegründet haben. Eine gute Sache, denn die Schüler, die sich dafür interessiert haben, konnten sich hier ausprobieren. Es war aber nicht an den Lehrplan gebunden. Wenn in der Schule Anreize gesetzt werden, finde ich das gut – aber dieses Thema jedem Schüler aufzwängen, muss nicht sein.

Markus Krückemeier: An Universitäten ist es etwas anders. Fachbereiche wie BWL halten das Thema Entrepreneurship schon recht hoch. Oder was mir an der RWTH gefällt, ist ein Programm namens „Trace“: Transforming Academic into Entrepreneurial Minds. Ihm können sich Studierende aller Fachrichtungen anschließen und zusätzlich zu ihrem Curriculum Entrepreneurship-Vorlesungen hören bzw. -Projekte mitgestalten und damit Startup-Flavor einatmen.

Die RWTH hat sich in den letzten Jahren gut entwickelt. Aber wenn man sich die großen Gründerhochschulen in Deutschland ansieht, die WHU, die HHL in Leipzig, TU München sogar mit eigenem Fonds: dann hat Aachen noch Potenzial.

Wie finden sich die Teams denn generell?

Markus Krückemeier: Unter anderem über Uniprojekte und Vorlesungen, bei denen explizit beispielsweise Ingenieure, ITler und BWLer zusammengebracht werden, um schon mal wichtige komplementäre Kompetenzen im Team zu haben. Auch wird der Austausch mit gründungsaffinen Hochschulen ohne eigene techn. Kompetenzen, wie z.B. die WHU in Vallendar, aktiv betrieben. Wir sehen auch Teams, die sich über den Gründungswettbewerb AC² zusammengeschlossen haben.

Und dann gibt es Menschen, die zu Startup-Weekends gehen, ohne eine eigene Idee zu haben – dafür aber Gründungswillen.

Daniel Kirch: Diese Weekends sagen das auch explizit: Ihr braucht eigentlich keine Idee, die erarbeitet ihr ohnehin erst während des Wochenendes. Als Veranstalter – ich habe das schon selbst organisiert – schaut man dann: Welche Teilnehmer sind hier, und wie setzt man sie möglichst bunt zusammen? Zum Beispiel: Ein Designer, ein Kaufmann, ein Informatiker.

Aber: Ein Kollege von mir sagte mal „ein Mitgründer ist wie ein Ehepartner“. Das heißt, man muss schon darauf achten, an wen man sich bindet. Schließlich wird man lange und intensiv miteinander arbeiten und es wird gute und schlechte Zeiten geben. An der Stelle stehen wir auch gern beratend zur Seite.

Würden Sie sagen, dass der Mut zum Gründen in der heutigen Generation Y größer ist als etwa noch vor 20 Jahren oder auch 50 Jahren?

Markus Krückemeier: Wir sehen schon, dass der Trend zum Gründen klar zugenommen hat. Es ist natürlich auch ein Modethema, aber wir sind heute auch wesentlich vernetzter als vor 20 oder 50 Jahren. Wir wissen viel mehr, was auf der Welt passiert.

Und haben damit mehr Opportunities?

Markus Krückemeier: Natürlich. Sie können beispielsweise Software in der Ukraine günstig programmieren und dann in Europa verkaufen. Wir können Investoren in den USA gewinnen, aber von Aachen aus agieren. Wir sehen und lernen von den Success Stories auf der anderen Seite des Atlantiks: Zuckerberg oder die Google-Gründer, auf einmal hört man von vielen Milliardären im Silicon Valley. Das spornt natürlich an, auch diesen Weg zu gehen und etwas zu wagen. Auf der anderen Seite steigt aber sicher auch die Zahl der erfolglosen Startups.

Eine Statistik bestätigt, dass es für Unternehmer am wahrscheinlichsten ist, während der ersten Jahre nach Gründung zahlungsunfähig zu werden. Wahrscheinlich fehlte diesen Unternehmen genau jener Kopf im Team, der sich mit Buchhaltung und Finanzen auskennt.

Markus Krückemeier: Absolut, oder die Idee war eben nur auf dem Papier sehr gut, hat dann aber nicht funktioniert. Diese Erfahrung haben wir selbst schon häufig gemacht. Das Risiko zu scheitern, zeigt sich am Anfang am deutlichsten, die Chance, richtig erfolgreich zu werden, benötigt dagegen etwas mehr Zeit.

Was wir auch oft beobachten: In den ersten beiden Jahren bekommen die Startups ihre Vision noch sehr gut verkauft. Geht es dann aber in die nächste Finanzierungsrunde, zum Beispiel mit Venture Capitalists, hat man plötzlich belegbare Vergangenheitsdaten, aus denen sich eine Prognose erstellen lassen kann. Da kommt dann die Realitätsprobe.

Sicherlich sollte man an der Stelle auch eine gewisse Weiterentwicklung an den Tag legen, es genügt nicht, einmal im Leben eine gute Idee zu haben.

Markus Krückemeier: Deshalb ist es auch deutlich schwieriger, ein Unternehmen auch im dritten und vierten Jahr zu halten und zum Wachsen zu bringen, als es zunächst zu gründen.

Ist das ein Punkt, an dem Sie eingreifen können? Indem Sie den Gründern sagen: Hier braucht Ihr noch einen zusätzlichen Schub?

Markus Krückemeier: Das ist ein klassischer Bereich, den wir stützen: die Folgefinanzierungsrunden. Manchmal kann man sie vorher einplanen, häufig sind sie aber spontan erforderlich. Zum Beispiel, wenn sich der Umsatz schwächer als geplant entwickelt und eine neue Finanzspritze notwendig wird. Wenn wir – und im Idealfall auch andere Investoren – dann noch an das Unternehmen glauben, gehen wir die nächste Runde mit.

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Aus dem Portfolio des Seed Fonds Aachen (Unternehmensvideo)

Was bringen Sie in dieser Verbindung mit dem Neugründer mit?

Markus Krückemeier: Abgesehen vom Kapital profitieren die Gründer von unserem Netzwerk. Wir kennen und empfehlen Berater, Anwälte, Notare, Investoren – und dabei nicht nur große Institutionen, sondern auch Business Angels. Die bringen häufig noch Expertise mit, so kombiniert man „much money“ mit „smart money“. Und wir sind Sparringspartner, etwa bei Fragen wie: „Wann sollen wir auf den amerikanischen Markt? Welches Lizenzmodell brauchen wir?“

Neben den reinen Geldern liefern Sie also auch strategische Unterstützung. Wie sieht das im Alltag aus, wie häufig haben Sie mit den Unternehmen Kontakt?

Daniel Kirch: Anfangs sehr häufig, vor unserer Entscheidung und dem Notartermin, bei dem wir einsteigen, sicherlich mehrmals wöchentlich. Danach hängt es davon ab, wie die Geschäftsidee läuft. Es gibt immer wieder Spitzen, während derer man sich enger austauscht: zum Jahresabschluss, zu Gesellschafterversammlungen, zu strategischen Fragestellungen oder bei Folgefinanzierungsrunden. Der Mindestkontakt liegt bei einem Gespräch monatlich, in der Regel spreche ich einmal wöchentlich mit allen meinen Portfolio-Unternehmen.

Klingt, als liefe das alles sehr unkompliziert und bedarfsorientiert.

Daniel Kirch: Klar: Gerade im Seed-Bereich sind wir sehr flexibel und gut erreichbar. Wir kommunizieren auf allen Kanälen: Whatsapp, Skype, E-Mail, Telefon oder treffen uns – bei aller digitalen Kommunikation – auf eine Tasse Kaffee.

Welches Unternehmen haben Sie zuletzt unterstützt – und womit?

Daniel Kirch: Das war das Medizintechnik-Unternehmen Hemovent GmbH, das eine innovative miniaturisierte Herz-Lungen-Maschine entwickeln und einführen wird. Hier waren mehrere institutionelle Investoren und auch ein Business Angel mit Branchenexpertise beteiligt. Und was uns außerdem gut gefallen hat: die anfangs beschriebene Teamkonstellation ist hier sehr gut abgedeckt.

Herr Krückemeier, Herr Kirch, wir danken Ihnen für das Gespräch. 

Über die Interviewpartner: Markus Krückemeier ist seit 2000 in der Geschäftsleitung (insb. für technologieorientierte Investments) der S-UBG Gruppe. Daniel Kirch ist seit 2015 Investment Manager bei der S-UBG Gruppe. Zuvor war er als Unternehmensberater für Technologie- und Innovationsmanagement tätig.

Über die S-UBG: Die S-UBG Gruppe, Aachen, ist der führende Partner bei der Bereitstellung von Eigenkapital für etablierte mittelständische Unternehmen (S-UBG AG) und junge, technologieorientierte Start-ups (S-VC GmbH) in den Wirtschaftsregionen Aachen, Krefeld und Mönchengladbach. Die S-UBG AG investiert in Wachstumsbranchen; eine hohe Qualität des Unternehmensmanagements ist für die Beteiligungsgesellschaft ein maßgebliches Investitionskriterium. 1997 gründeten die Gesellschaftersparkassen unter der S-VC GmbH einen Early-Stage-Fonds, um Start-ups zu finanzieren.

2007 kam der Seed Fonds I Aachen hinzu, der das Angebot um Beteiligungskapital für technologieorientierte Unternehmensgründungen erweitert. Nach dessen Ausfinanzierung wurde 2012 ein neuer Fonds (Seed Fonds II Aachen) aufgelegt. Die S-UBG-Gruppe ist derzeit an über 40 Unternehmen in der Region beteiligt und nimmt damit einen Spitzenplatz in der Sparkassen-Finanz-Gruppe ein.  

Mehr Infos: seedfonds-aachen.de

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