3. September 2018

Exporteure, wappnet euch: Schwellenländer im Abwärtsstrudel der Türkei

Was mit einem dauerhaft zu hohem Leistungsbilanzdefizit und zu hoher Auslandsverschuldung begann, in Inflation mündete und die Herabstufung durch Ratingagenturen hervorrief, gipfelt aktuell in enormen Wertverlusten für die türkische Lira und der Ankündigung Erdogans, das Land gegen Importe (zunächst nur?) aus den USA abzuschotten. Welche Folgen hat das für Unternehmen, die in die Türkei liefern? Und welche Auswirkungen hat die zunehmende Aufhebung des Welthandels für andere Schwellenländer?

Dass sich einzelne Märkte immer weiter abschotten, beunruhigt die Gemüter schon länger. Wie soll eine Weltwirtschaft funktionieren, wie sollen Länder mit den Gütern und Kompetenzen Geld verdienen, die sie haben, und diejenigen kaufen, die sie benötigen, wenn über Strafzölle und Einfuhrbeschränkungen gesprochen wird? Und wie sollen Unternehmer, die sich in den vergangenen Jahr(zehnt)en Geschäftsbeziehungen innerhalb und außerhalb der EU aufgebaut haben, vernünftig planen, wenn sie damit rechnen müssen, dass Politiker den Güter- oder Finanzverkehr nicht verlässlich regeln oder gar ganz blockieren?

Investoren ohne Vertrauen

Auch die Türkei kündigte kürzlich Handelsboykotte an: Statt zu Elektronik aus den USA sollen die Menschen am Bosporus zu Handys und Notebooks aus Asien greifen. Seit Anfang des Jahres verlor die türkische Lira ohnehin schon an Wert, der Handelsstreit mit den USA führte zum freien Fall. Die Währung des Landes ist inzwischen nur noch etwa die Hälfte wert. Ein enormer Schaden für den Außenhandel und die komplette Wirtschaft in der Türkei. Die Inflation kletterte auf fast 16 %, ein (negativer) Rekordwert, der vor 15 Jahren zuletzt erreicht wurde. Zudem erhöhte Präsident Erdogan seinen Einfluss auf die Zentralbank – und verringerte so das Vertrauen der Investoren.

Schwellenländer mit Schulden

Das politische Risiko jedenfalls – das bemerken Handelstreibende wie Versicherer deutlich – ist enorm angestiegen. Nicht nur in der Türkei, sondern auch in anderen Schwellenländern. Russland, Südafrika, Mexiko: Sie alle leiden unter jeweils fallenden Kursen ihrer Landeswährung. In Venezuela droht seit längerem ein Staatsbankrott. Die Emerging Markets aber können nur wachsen, wenn sie gegossen – und eben nicht durch Sanktionen und Handelsbeschränkungen ausgedörrt werden. Zu sensibel sind die Handelsbeziehungen und Warenkreisläufe, zu anfällig das finanzielle Gerüst. Die Politik Trumps schade gerade den Schwellenländern, schreibt auch das Handelsblatt.
Hinzu kommt, dass viele Unternehmen – nicht nur in der Türkei – in Euro oder US Dollar verschuldet sind. Die Abwertung der eigenen Währung macht diese Kredite nun sehr teuer. Das wirtschaftliche Risiko steigt für diese Unternehmen.

Dass sowohl Wirtschaftskrisen – wie auch Wirtschaftswachstum – in Schwellenländern wesentlich ausgeprägter sind, bestätigt uns Christoph Witte vom Versicherer Credendo. Witte ist Spezialist für Länderrisiken und kann sich auf jahrelange Erfahrung insbesondere bei der Einschätzung von Schwellenländern berufen. Handelstreibenden mit der Türkei rät er, (weiterhin) genau hinzuschauen und abzuwägen: „Wenn man sich während der schwierigen Zeiten aus einem Schwellenland zurückzieht, wird es aber schwierig sein, zu Beginn des Wirtschaftszyklus wieder den Einstieg zu finden. Andererseits sollte man sich in der derzeitigen Situation genau überlegen, inwiefern die türkischen Kunden von der Abwertung der Lira betroffen sind (Schulden vs. Einnahmen in Euro oder Dollar) und inwiefern die türkischen Kunden eine schrumpfende Nachfrage im eigenen Land durch externe Absatzmärkte ersetzen können.“

Ohnehin ist es nicht ratsam, die Entscheidung über eine Absicherung nur von der allgemeinen Konjunktur abhängig zu machen. Das sieht auch Witte so und ergänzt, dass Kundenforderungen in Schwellenländern während der guten wie der schlechten Zeiten gewährleistet sein sollte. Während einer Krise seien Kreditversicherer wie auch Banken wenig an Neugeschäft interessiert.

Ausfallversicherungen mit Schutz vor politischen Risiken

In den meisten deutschen Kreditversicherungsverträgen ist das politische Risiko nicht mitversichert – darauf weisen wir unsere Kunden im persönlichen Gespräch sowie auch in dieser Stelle im VIA-Blog immer wieder hin. Die Bereitschaft, dieses Risiko zusätzlich abzusichern, ist bei Exporteuren von Investitionsgütern, deren Herstellung mehrere Monate oder Jahre dauern kann, deutlich höher als bei Unternehmern, die kurzfristig Waren liefern. Einige nutzen Akkreditive zur Absicherung Ihres Exportrisikos in diese Länder. Die klassische Warenkreditversicherung hat die Aufgabe, die Risiken für Ihre Kunden zu bewerten und bei Bedarf die Limite auf die schlechteren Risiken (entsprechend der Einzelbonität oder des Länderrisikos) anzupassen.

Gerade für Geschäfte mit der Türkei erleben wir schon seit einiger Zeit, dass Limite aber nur sehr begrenzt möglich sind und über die letzten Jahre hinweg zudem häufig nach unten angepasst wurden. Diese Entwicklung wird sich – wenn die Nachrichten vom Bosporus so bleiben – weiter fortsetzen. Und sie gilt auch für andere Emerging Markets wie etwa China, Mexiko, Brasilien oder Russland. Die Schwellenländer stehen bei den Kreditversicherern unter ständiger, besonders aufmerksamer Beobachtung.

Wenn Versicherer der Übernahme der Risiken aber so zurückhaltend gegenüberstehen, ist es dann wichtig, das politische in die Warenkreditversicherung zu integrieren? Kommt darauf an. Losgelöst von der Absicherung wirtschaftlicher Risiken ist die Absicherung von politischen Risiken möglich. Auch in der Türkei.

Sprechen Sie uns an.

Stichwörter: , , , , , , , , , ,